19.08.2009
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MR-int: Verabschiedet sich Poker aus dem Glücksspielrecht?

Eine Besprechung der aktuellen verwaltungs- und strafrechtlichen Rechtslage zur Pokervariante Texas Hold´em

von Dr. Wulf Hambach, Partner, Dr. Michael Hettich, Tobias Kruis

Poker ist ein Glücksspiel. Dies ist die unreflektierte Auffassung vieler Juristen seit über 100 Jahren. Ein so pauschales Urteil entspricht jedoch weder der höchstrichterlichen Rechtsprechung,die zur Abgrenzung von Glücks- und Geschicklichkeitsspielen ergangen ist noch trifft es auf die heute beliebteste Pokervariante Texas Hold’em zu. Der bislang noch fehlende Beweis wurde durch den ersten groß angelegten Feldversuch in Deutschland unter Aufsicht der TÜV Rheinland Secure iT GmbH1 erbracht und in einem Berufungsurteil des LG Karlsruhe bestätigt. Der Beitrag wertet die Ergebnisse des Feldversuchs aus und stellt die straf- und ordnungsrechtlichen Konsequenzen dar. Zum Abschluss wird die gesetzgeberische Zielsetzung der Privilegierung von Geschicklichkeitsspielen am Beispiel des Pokerspiels beleuchtet.

I. Einleitung

Betrachtet man Geschicklichkeitsspiele und Glücksspiele juristisch, so könnte man meinen, auf der einen Seite das Paradies, auf der anderen dagegen das Fegefeuer vor sich zu haben. Dem Glücksspiel haftet nicht erst seit Dostojewski’s Roman „Der Spieler“ der Ruf des Sozialschädlichen, moralisch Unerwünschten und Verruchten an. Schon im Mittelalter wurden Glücksspiele als „Gebetbuch des Teufels“ bezeichnet und unterlagen zeitweise einem vollständigen Verbot.2 Dagegen fördern Geschicklichkeitsspiele das Gute im Menschen; sie schulen Körper und Geist. Wie das Reichsgericht feststellt, führt das Geschicklichkeitsspiele zur „ehrlichen Ergötzlichkeit“ und Kurzweil, während Glücksspiele der Gewinnsucht dienen.3 Seit Langem sind beispielsweise Skat, Schafkopf und Doppelkopf allgemein als Geschicklichkeitsspiele anerkannt4 während Poker an dieser Privilegierung nicht teilhaben soll, obwohl in all diesen Spielen gleichermaßen Wettkämpfe auf nationalen und internationalen Meisterschaften ausgetragen werden5.

Zwei Sätze des Reichsgerichts hatten 1906 genügt, um Draw Poker als Glücksspiel abzuqualifizieren6. Demgegenüber kommen zahlreiche wissenschaftliche Studien im Ausland zu dem Ergebnis, dass z. B. Texas Hold’em Poker ein Geschicklichkeitsspiel ist.7 Umso erstaunlicher ist es, dass ein Großteil der Literatur und Rechtsprechung weiterhin der über 100 Jahre alten Entscheidung des Reichsgerichts unreflektiert folgt.8

Wie so oft steckt der Teufel auch hier im Detail. Denn zum einen ist Poker nicht gleich Poker. Die vom Reichsgericht beurteilte Variante „Draw Poker“9 mag zwar dem ein oder anderen noch aus einem sog. „Spaghetti-Western“ bekannt sein; die heute beliebteste und auch in Gerichts- und Verwaltungspraxis bedeutsamste Variante ist jedoch Texas Hold’em und hat mit der vom Reichsgericht entschiedenen Spielart nicht mehr viel gemein. Zum anderen kann die rechtliche Abgrenzung zwischen Geschicklichkeitsspiel und Glücksspiel nur aufgrund der konkreten Spielmodalitäten erfolgen.10 Auch dies blieb bisher weitgehend unberücksichtigt.

Eine neue Studie, die sich zur Abgrenzung von Geschicklichkeits- und Glücksspielen an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientiert, zeigt jedoch, dass Texas Hold’em, zumindest in einigen Spielvarianten, tatsächlich ein Geschicklichkeitsspiel im rechtlichen Sinne ist.11 Zu diesem Ergebnis kam nun auch das LG Karlsruhe in einem jüngst ergangenen Urteil.12 Dabei lehnte es zu Recht eine Übertragung der vom Reichsgericht gezogenen Schlussfolgerungen auf Texas Hold’em ab.

Da die Abgrenzung zwischen Geschicklichkeits- und Glücksspielen von zentraler Bedeutung zum einen für die Strafbarkeit nach § 284 StGB, zum anderen – wegen § 33 h Nr. 3 GewO, der in der dualen Spielordnung die Weichen zwischen Gewerberecht und Staatsmonopol stellt – für die ordnungsrechtliche Behandlung ist, soll hier zunächst eine Einordnung von Texas Hold’em anhand der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien erfolgen.


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1 Hambach & Hambach Rechtsanwälte/TÜV Rheinland Secure iT GmbH/Henze (Leiter des Instituts für Stochastik der Universität Karlsruhe)/Kalhamer (Lehrbuchautor Poker), Pokerstudie, 2008 (die bisher unveröffentlichte Studie liegt den Verfassern vor).
2 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 14.04.2008, „Der Teufel schlägt den Papst“, im Internet abrufbar unterhttp://www.sueddeutsche.de/kultur/404/439147/text/, sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Spielkarte.
3 RG, 07.12.1906 – V 473/06, RGSt 40, 21, 35 ff.
4 Vgl. nur Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 5 a SpielVO, Rdn. 7; v. Bubnoff, in: LK-StGB, § 284, Rdn. 9.
5 Vgl. für Skat etwa die Homepage des Deutschen Skatverbands e. V., abrufbar unter http://www.dskv.de/.
6 RG JW 1906, 789.
7 So die Studien von Cabot/Hannum, Poker: Public Policy, Law, Mathematics, and the Future of an American Tradition,Cooley, Law Review 2005, 443 ff.; Alon, Poker, Chance and Skill, Working Paper, Universität Tel Aviv 2007;Dreef/Borm/v. d. Genugten, On Strategy and Relative Skill in Poker, International Game Theory Review 2003, 83; Borm v. d. Genugten, On a Relative Measure of Skill for Games with Chance Elements, TOP 2001, 91; Dedonno/Dettermann,Poker is a Skill, Gaming Law Review  2008, 12; Zusammenfassung bei Hambach & Hambach Rechtsanwälte/TÜV Rheinland Secure iT GmbH/Henze (Leiter des Instituts für Stochastik der Universität Karlsruhe)/Kalhamer (Lehrbuchautor Poker), Pokerstudie, 2008, 14 u. 142 ff., sowie Rock/Fiedler, Die Empirie des Online-Pokers – Bestimmung des Geschicklichkeitsanteils anhand der kritischen Wiederholungshäufigkeit, ZfWG 2008, 412, 414 f.
8 Vgl. Dietlein, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2008, § 3 GlüStV, Rdn. 4; Kühl, in: Kühl, StGB, 2007, § 284,Rdn. 3; v. Bubnoff, in: LK-StGB, § 284, Rdn. 14; Duesberg, Die Strafbarkeit des Online-Pokers, JA 2008, 270, 271;Reeckmann, Zur Zulässigkeit des Pokerspiels außerhalb konzessionierter Spielbanken, ZfWG 2008, 296, 296; Fischhaber/Manz, Grenzen der Zulässigkeit von Pokerturnieren, GewArch 2007, 405, 406; VG München, 08.05.2007 – M 22 S 07.900; VG Frankfurt a. M., 12.02.2008 – 7 G 4212/07, ZfWG 2008, 219. Eine Weiterentwicklung der Reichgerichtsrechtsprechung findet sich in: VG Düsseldorf, 18.05.2009 – 27 L 1607/08; OVG Berlin-Brandenburg, 20.04.2009 – 1 S 203.08.
9 Hier hält jeder Spieler fünf verdeckte Karten und kann diese durch Tauschen verbessern sowie in zwei Setzrunden seine Gegner ausspielen. Zur genauen Spielbeschreibung vgl. z. B.http://de.wikipedia.org/wiki/Five_Card_Draw.
10 So BGH, 11.01.1989 – 2 StR 461/88, BGHSt 36, 74; v. Bubnoff, in: LK-StGB, § 284, Rdn. 7, 14.
11 Hambach & Hambach Rechtsanwälte/TÜV Rheinland Secure iT GmbH/Henze (Leiter des Instituts für Stochastik der Universität Karlsruhe)/Kalhamer (Lehrbuchautor Poker), Pokerstudie, 2008, (die bisher unveröffentlichte Studie liegt den Verfassern vor).
12 LG Karlsruhe 20.01.2009 – 18 AK 127/08.